Julian Assange soll nicht in die USA ausgeliefert werden. Das urteilte am 4. Januar 2021 Bezirksrichterin Vanessa Baraitser.
Dennoch musste er nach dem Urteil zurück ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die Ankündigung der USA, Berufung einlegen zu wollen, reichte aus, einen eigentlich freien Menschen im Gefängnis mit der höchsten Sicherheitsstufe Großbritanniens einzusperren, das bekannt ist als britisches Guantanamo.
Am 6. Januar wird Baraitser entscheiden, ob der WikiLeaks-Journalist auf Kaution freigelassen wird. Einzig und allein humanitäre Gründe sprechen für die Bezirksrichterin gegen eine Auslieferung von Julian Assange, da er im repressiven Gefängnissystem der USA nach verschiedenen Experten-Einschätzungen mit höchster Wahrscheinlichkeit Suizid begehen würde.
In den anderen Punkten folgt sie der US-Anklage. Beobachter*innen sind sich einig, dass dies eine fundamentale Bedrohung für die Pressefreiheit darstellt.
Prof. Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, bewertet Baraitsers Urteil im Hinblick auf die Ablehnung einer Auslieferung als Schritt in die richtige Richtung. Da die Begründung aber die US-Anklage bestätigt, schafft diese Entscheidung dennoch einen vernichtenden Präzedenzfall für die Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit:
Überaus besorgniserregend waren erneut auch die Prozessbedingungen. Prozessbeobachter*innen berichteten von der massiven Polizei-Präsenz und von Einschüchterungen durch die Polizei. Die Direktorin des Londoner Büros von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent teilte mit, dass sie und andere Unterstützer*innen am Morgen vor Prozessbeginn stundenlang von mehreren Beamten angegangen und bedroht wurde:
Die Beamten erklärten den Unterstützer*innen, dass die Besuchertribüne geschlossen sei und lediglich die Familie das Prozessgeschehen beobachten dürfe. Sie versuchten vehement, die Wartenden vom Ort des Geschehens wegzubewegen. Es wurde mit Festnahmen gedroht, sollten die Prozessbeobachter*innen sich nicht entfernen. Material, Banner, Flyer etc. wurden beschlagnahmt. Später stellte sich heraus, dass die Angaben der Polizei nicht korrekt waren, und dass doch einige wenige Personen Einlass ins Gerichtsgebäude erhielten. Rebecca Vincent kommentierte:
„Es war das erste Mal in meiner 15-jährigen Karriere, dass mir mit Festnahme gedroht wurde dafür, dass ich versuche ins Gericht zu kommen, um meine Arbeit zu machen.“ Und: „Das Ausmaß an polizeilicher Repression ist verrückt.“
Im Live-Stream konnte man die Repressionen der Polizei live beobachten. Ein lautstarker Unterstützer wurde von mehreren Beamten eingekesselt und daran gehindert, Parolen zu rufen. Sein Banner wurde einkassiert. Er berichtet, dass er anschließend mit auf die Wache genommen wurde, wo die Beamten ihm sagten, er sei gezielt wegen seiner lauten Stimme angegangen worden. Im März hat er nun eine Anhörung.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sevim Dagdelen, hatte als eine von wenigen vom Gericht eine Zusage zur Prozessbeobachtung erhalten. Sie wurde jedoch unter fadenscheinigen Vorwänden an der Einreise nach Großbritannien gehindert, so dass ihre Beobachtung des Schauprozesses unterbunden wurde. Sie kommentierte: „Prozessbeobachter sind offensichtlich unerwünscht. Einfach nur schäbig!“
Wie bei den Anhörungen zuvor wurde die Prozessbeobachtung durch technische Fehlfunktionen und Ausfälle extrem erschwert. Die äußerst schlechte Audio-Verbindung machte es fast unmöglich, den Ausführungen der Bezirksrichterin zu folgen.
Weitere Reaktionen
Kristinn Hrafnsson, Chefredakteur von WikiLeaks, sagte nach dem Urteil, dass es nun an der Zeit für die USA ist, die Anklage fallen lassen. Er betonte, dass der Kampf nicht vorbei ist, und dass es erst Anlass zum Feiern gibt, wenn Julian Assange nach Hause zu seiner Familie gehen kann.
Stella Moris, Assanges Verlobte und Mutter seiner beiden jüngsten Söhne äußerte sich nach der Urteilsverkündung:
„So lange Julian Leid und Isolationshaft ertragen muss, als nicht verurteilter Gefangener im Belmarsh-Gefängnis, und so lange unsere Kinder weiterhin der Liebe ihres Vaters beraubt sind, können wir nicht feiern. Wir werden an dem Tag feiern, an dem er nach Hause kommt.“
Sie warnte, dass die USA weiterhin versuchen, Journalismus zu kriminalisieren.
Die Unterstützer*innen, die schon seit Jahren für Assanges Freiheit kämpfen – einige schon seit über 10 Jahren – freuten sich dennoch über den Etappensieg und feierten vor dem Gericht Old Bailey.
Rund um die Welt gab es am und um den 4. Januar herum Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen für die Freiheit von Julian Assange. In Frankfurt und Hamburg wurde demonstriert, in Berlin gab es den ganzen Tag über eine Fahrrad-Aktion:
Beobachter*innen kritisierten, dass Baraitser zwar den desaströsen Gesundheitszustand von Julian Assange anerkenne, nicht aber wie es dazu gekommen ist, geschweige denn ihren eigenen Anteil an der Entwicklung:
„Dass die Richterin damit auch die eigenen verhängten Haftbedingungen beschrieb, denen Assange fast zwei Jahre ausgesetzt war und die den Mann erst akut suizidal hatten werden lassen: kein Wort davon.“
(Daniel Ryser im Online-Magazin „Republik“)
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