Am Montag, 27. Juli 2020 fand eine weitere Anhörung im Schauprozess um die von den USA geforderte Auslieferung von Julian Assange statt. Inhaltlich soll es erst ab dem 07. September 2020 weitergehen, bis dahin muss mindestens alle vier Wochen eine technische Anhörung stattfinden.

Aus dem Gerichtssaal vor Ort im Westminster Magistrates‘ Court twitterten live die Journalisten Marty Silk (Australian Associated Press, AAP) und Juan Passarelli.

Die wichtigsten Erkenntnisse in Kürze:

  • Obwohl die Anklage bereits vor einem Monat der Verteidigung überraschend eine so genannte Ersatzklage zustellte, die in großen Teilen auf Aussagen des verurteilten Betrügers und Pädophilen Sigurdur Thordarson beruht, hatte das Gericht diese Ersatzklage nicht erhalten. Richterin Vanessa Baraitser wurde lediglich durch eine Email der Verteidigung über die Ersatzklage informiert. Anwalt der Verteidigung Edward Fitzgerald befürchtet, dass sich das Verfahren dadurch weiter bis nach den US-Wahlen im November verzögern könnte
  • Die nächste technische Anhörung ist angesetzt für 14. August 2020
  • Richterin Baraitser bestätigte das Gericht „Old Bailey“ (Central Criminal Court) als Veranstaltungsort für die 2. Runde des Schauprozesses ab 07. September 2020
  • Nachdem er in den letzten 16 Wochen nicht per Videoschaltung an den Anhörungen teilnehmen konnte, erschien Julian Assange per Videolink – nach anfänglicher Verzögerung, weil die zuständigen Behörden im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh Berichten zufolge nicht über seine Teilnahme per Videolink informiert waren. Assange soll müde und bedrückt ausgesehen haben.
  • Auf der Besuchertribüne konnten aufgrund der Abstandsregelungen nicht alle Anwesenden Platz finden, so dass einige wieder gehen mussten.

Charakteristisch für diesen Fall, in dem über die Zukunft der Pressefreiheit entschieden wird, ist die Tatsache, dass die Anhörungen für Presse und Öffentlichkeit kaum zugänglich sind. Es hat den Anschein, dass die freie Presse systematisch an der Beobachtung und Berichterstattung gehindert wird. Viele Journalist*innen berichteten von den massiv erschwerten Zugangsbedingungen. Journalistin Stefania Maurizi (ehem. La Repubblica) hatte im Vorfeld der Anhörung eine Woche lang in neun Emails um Zugang zur Anhörung per Telefon gebeten. Den Zugang erhielt sie eine Minute vor der Anhörung. Die technische Qualität der Leitung war – wie schon bei den vorherigen Anhörungen – derart schlecht, dass sie kaum 20 Prozent des Gesagten verstehen konnte. Diese „technischen Schwierigkeiten“ ziehen sich durch den gesamten Prozess. Das Verfolgen des Geschehens per Telefon wird dadurch so gut wie unmöglich gemacht.

Stefania Maurizi kommentierte:

„Die britischen Behörden haben offensichtlich kein Interesse daran, dass internationale Reporter*innen über Julian Assanges Fall berichten. Es ist absolut unfair.“

Maurizi kündigte an, Beschwerde dagegen einzureichen.

Rebecca Vincent, Leiterin des britischen Büros von Reporter ohne Grenzen, wurde 40 Minuten lang nicht durchgestellt und musste den Versuch aufgeben, per Telefon an der Anhörung teilzunehmen. Reporter ohne Grenzen äußerte sich sehr besorgt über die Zugänglichkeit der Anhörungen im September:

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson kommentierte die Anhörung in einer Presseerklärung der Don’t Extradite Assange Campaign:

„Was die USA tun, ist wirklich beispiellos. Eine neue Anklage wird auf halben Weg des Auslieferungsverfahrens eingeführt, das seit einem Jahr im Gange ist.

Das Auslieferungsverfahren gegen Assange begann im Februar und sollte im Mai wieder aufgenommen werden, musste dann aber wegen des COVID-Sperrverbots auf September vertagt werden.

Die ’neue‘ ersetzende Anklageschrift enthält eigentlich nichts Neues. Alle angeblichen Ereignisse sind der Anklage seit Jahren bekannt. Sie enthält keine neuen Anklagepunkte. Was hier wirklich passiert, ist, dass die Staatsanwaltschaft trotz ihres jahrzehntelangen Vorsprungs immer noch nicht in der Lage ist, einen kohärenten und glaubwürdigen Fall aufzubauen. Deshalb haben sie ihre beiden früheren Anklagepunkte fallen gelassen und einen dritten Versuch unternommen. Sie verschwenden die Zeit des Gerichts und missachten in eklatanter Weise die Regeln eines ordentlichen Verfahrens“.

Die Londoner Supporter machten auf das unerhörte Unrecht und die psychologische Folter aufmerksam, der Julian Assange tagtäglich ausgesetzt ist, sowie auf die massive Gefahr für Pressefreiheit und Demokratie durch diesen andauernden Justizskandal.

Herzlichen Dank an das Committee to Defend Julian Assange und an Marty für die Bilder!

Weitere Berichte (auf Englisch) über die Anhörung vom 27. Juli:

Canberra Times (by Marty Silk): New Assange indictment ‚political‘: court

World Socialist Website (by Thomas Scripps): Assange appears in court, as lawyers warn case may be delayed by new US indictment