Am Freitag, 14. August 2020 fand eine weitere Anhörung im Schauprozess um die von den USA geforderte Auslieferung von WikiLeaks-Journalist Julian Assange statt. Inhaltlich soll es voraussichtlich erst ab dem 07. September 2020 weitergehen, bis dahin muss mindestens alle vier Wochen eine verwaltungstechnische Anhörung stattfinden.

In einem ausgezeichneten Überblick über die Vorgänge der Anhörung bezeichnete die World Socialist Web Site das gesamte Geschehen treffend als pseudo-legale Farce.

Im folgenden sind die Live-Tweets von Juan Passarelli dokumentiert, Journalist und Vertrauter von Julian Assange. Wie bei den vorherigen Anhörungen auch war Passarelli persönlich im Gerichtssaal des Westminster Magistrates‘ Court anwesend, konnte der Anhörung unter dem Vorsitz von Vanessa Baraitser als Augen- und Ohrenzeuge folgen und schilderte seine Beobachtungen auf Twitter:

10.20 Uhr (CET, Deutschland)

Nun im Gericht. Es scheint Verwirrung darüber zu geben, ob die Verhandlung wie geplant um 10 Uhr [Anm. britischer Zeit, 11 Uhr CET] stattfindet oder um 15.30 Uhr. Wie üblich legt das Gericht mangelnde Organisation, Kommunikation und bürokratische Inkompetenz an den Tag.

10.25 Uhr

Quellen berichten, dass die Anhörung um 10 Uhr starten wird. Noch keine Bestätigung von offizieller Seite.

10.50 Uhr

Zufällig höre ich wie Beamte sagen, dass sie nicht in der Lage sind, Belmarsh zu erreichen und nicht wissen, ob sie ihn [Anm. Julian Assange] herbeischaffen können … schon wieder.

Wieder einmal ist das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh nicht in der Lage, DEN politischen Gefangenen des Westens zu finden.

11 Uhr

Die Anhörung verögert sich heute wieder einmal, weil das Gefängnis Belmarsh es nicht schafft, ihn zu finden.

11.10 Uhr

JulianAssange ist jetzt im Video-Raum. Vor der Anhörung darf er noch schnell ein paar Worte mit seinen Anwälten wechseln. So lange darf noch niemand in den Gerichtssaal.

11.40 Uhr
Julian Assanges Partnerin Stella Morris und sein Vater John Shipton sind im Gericht, um ihn zu unterstützen.

11.45 Uhr
Der Gerichtssaal ist nun geöffnet, Assange ist per Videolink zugeschaltet. 5 Presse-Vertreter*innen dürfen anwesend sein. Stella Morris und John Shipton haben Plätze erhalten, und dazu noch 4 Vertreter*innen der Öffentlichkeit.

Die Anklage-Seite ist nicht anwesend.

Julian Assange hat zweimal gehustet. Er sitzt ruhig im Videolink-Raum. Man kann nicht beurteilen wie sein mentaler oder physischer Zustand ist.

11.50 Uhr
Aus einer anderen Zelle in Belmarsh ist über den Videolink Geschrei zu hören. Die Richterin bitten die Wärter, für Ruhe zu sorgen.

Die Anklage-Seite ist nun telefonisch zugeschaltet.

11.55 Uhr
Assange gibt seinen Namen und Geburtsdatum an. Seine Stimme erscheint rau und er spricht langsam.

Die Anklage-Seite hat Probleme mit der Telefon-Verbindung. Sie können nur Wartemusik hören.

11.58 Uhr
Unangenehmes Schweigen.

12 Uhr
Die Nummer, die den Vertreter*innen der Anklage gegeben wurde, war für eine andere Anhörung.

12.05 Uhr
Richterin Vanessa Baraitser sagt, sie gibt der Anklage noch 5 Min, andersfalls wird sie die Anhörung für 30 Min. unterbrechen.

Julian Assange hustet oft und scheint einen rauen Hals zu haben. Er hat keine Maske bekommen in dem Konferenz-Raum, der von allen Gefangenen des gesamten Gefängnisses benutzt wird [Anm. laut einigen Quellen hat dieser Raum keine Fenster und kann somit nicht gelüftet werden, was das Risiko einer Covid-19-Infektion massiv erhöht].

12.15 Uhr

Die Verteidigung reicht Nachrichten der Anklage weiter an die Richterin.

Die Anklage-Seite ist jetzt am Telefon.

Die Richterin fragt, warum die Anklage nicht anwesend ist. Die Anklage sagt, die Anhörung wäre für 15.30 Uhr angesetzt. Die Richterin ist nicht glücklich darüber.

12.18 Uhr
Die Verteidigung beginnt und sagt, dass Assange die Ersatzklage noch nicht gesehen hat.

12.20 Uhr
Die Verteidigung argumentiert, dass dies möglicherweise Missbrauch der Justiz ist. Sie wollen im September weitermachen. Sie sagen, die Verteidigung kann nur auf gerechte Art und Weise weitermachen, wenn die neuen Anklagepunkte ausgeschlossen werden, die sich nicht auf 2010/11 beziehen.
Die Verteidigung betont, es ist viel zu spät, neue Anklagepunkte einzubringen, und dass sie die neuen Punkte nicht rechtzeitig behandeln können.
Um Gerechtigkeit zu gewährleisten, sollten die Anklage-Erweiterung aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen werden, argumentiert die Verteidigung.

12.27 Uhr
Die Anklage sagt, dass die USA weiter in Bezug auf die angeblichen kriminellen Aktivitäten von Assange ermittelt hat nachdem die Grand Jury die Aklageschrift zurückgegeben hat. Es gäbe eine fortlaufende Ermittlung und dies sei üblich im US-amerikanischen System.

12.29 Uhr
Die Anklage stimmt zu, dass die neue Aklageschrift der alten ähnlich ist, aber dass ein wenig hinzugefügt wurde in bezug auf Assanges Verhalten.

12.31 Uhr
Die Anklage sagt, dies sei ein neuer Anklage-Fall und das Gericht habe nicht die Macht, irgendetwas aus der Anklageschrift zu streichen.

12.33 Uhr
Die Verteidigung argumentiert, dass das Material bereits 2011 verfügbar gewesen sei und es gebe keinen Grund, dies als Ergebnis neuer Ermittlungen zu präsentieren

12.37 Uhr
Die Richterin sagt, Assange wurde noch nicht einmal unter dieser Ersatzklage verhaftet. Sie sagt, sie muss überlegen, ob die Anhörung gerecht sein kann.
Es steht nicht in ihrer Macht, neue Anschuldigungen auszuschließen. Die Verteidigung darf sich überlegen, ob sie mehr Zeit braucht.

12.40 Uhr
Die Verteidigung sagt, sie brauchen Zeit um zu entscheiden, ob sie eine Verschiebung der Anhörungen im September beantragen wollen. Sie wollen das Gericht nächsten Freitag informieren. Die Richterin fragt, ob das auch bis Mittwoch geht.

12.43 Uhr
In Bezug auf Live-Streams der Presse sagt die Richterin, dass sie nicht gegen Live-Videos ist

12.45 Uhr
In Bezug auf eine mögliche zusätzliche 4. Woche sagt Frau Dubbin [Anm. Anwältin der US-Anklage], dass sie dabei sind, zu prüfen, ob die Anklage-Seite dann Zeit hat. Die Richterin sagt, sie erwartet, dass ein Mitglied der Anklage-Seite verfügbar sein wird

12.54 Uhr
Die Anklage sagt, dass sie noch weitere Beweise einbringen werden muss in Bezug auf psychiatrische Gutachten. Die Verteidigung sagt, dass sie diese sehen muss bevor sie Argumente vorbringen kann.
Die Anklage will die Beweise am 24. August einreichen.

12.55 Uhr
Die Anklage sagt, dass sie ein psychiatrisches Gutachten von der Verteidigung erhalten hat, das besagt, dass sich Assanges psychische Gesundheit in den letzten Wochen verschlechtert habe.

Belmarsh weigert sich, Assange ein Videolink-Gespräch mit seinen Anwält*innen zu gestatten.

12.59 Uhr
Der Fall wird vertagt bis zum 7. September im Old Bailey, vorausgesetzt, es gibt keine Anträge, das Verfahren weiter zu verschieben.

13.12 Uhr
Julian Assange wurde von der Richterin gefragt, ob er der Anhörung folgen konnte. Er sagte sehr langsam und mit leichtem Stottern „Ich habe fast jedes Wort gehört, dass Sie gesagt haben“. Als jemand, der ihn gut kennt, kann ich ohne Zweifel sagen, dass er nicht gut klang.

Auch der Reporter Mohamed Elmaazi war im Gericht anwesend und berichtete über das Geschehen.

Auffällig war erneut, dass Vertreter*innen der Presse der Zugang zur Anhörung massiv erschwert und in den meisten Fällen sogar unmöglich gemacht wurde. Die Möglichkeit, der Anhörung per Telefon zu folgen, stand am 14. August nicht zur Verfügung. Reporter ohne Grenzen (RSF), die sich mit einer Petition für Assange starkmachen, äußerten sich entsetzt:

Erneut konnte RSF eine verwaltungstechnische Anhörung im Fall von Julian Assange nicht beobachten. Uns wurde persönlich der Zutritt verwehrt, das Gericht schaffte es erneut nicht, eine Konferenzschaltung aufzubauen und verhinderte so den Fern-Zugang [Anm. Zugang per Telefon]. Dies wurde zur – inakzeptablen – Norm in diesem Fall.

Die Sprecherin des Londoner Büros von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, kündigte an, Beschwerde beim Gericht gegen die inakzeptablen Bedingungen einzulegen, ebenso beim britischen Justizministerium:

Bestürzt äußerte sich im Anschluss an die Anhörung auch WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson und warnte, dass wir im Begriff sind, Zeugen des schlimmsten Justizskandals der letzten Jahrzehnte zu werden:

In einer Presseerklärung (Englisch) äußerte sich ebenfalls die Don’t Extradite Assange (DEA) Campaign und wies nochmals darauf hin, dass Assange seit inzwischen fünf Monaten, seit März 2020, weder seine Familie noch seine Anwält*innen sehen durfte.

Vor dem Westminster Magistrates‘ Court wurde auch am 14. August 2020 darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur das Leben von Julian Assange auf dem Spiel steht sondern ebenso die Pressefreiheit und letzten Endes die Demokratie:

John Shipton, Vater von Julian Assange, sprach nach der Anhörung mit der Presse und betonte die enormen Konsequenzen des Falls. Durch diesen Präzedenzfall werden die zivilisatorischen Errungenschaften der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie der Magna Carta fundamental bedroht. Sollten die USA mit diesem Vorstoß extra-territorialer Rechtsprechung nicht gestoppt werden, hätte dies zur Folge, dass zukünftig Bürger*innen jedweder Nationalität willkürlich aus ihrem Land verschleppt und vor US-Gerichte gezerrt werden können:

Vielen Dank für die Fotos und Videos an EF Press!