Am 05. März 2021 erschien auf der Nachrichtenseite web.de eine „Analyse“ der Fälle von Alexej Nawalny und Julian Assange, verfasst von Marco Fieber.

Zu diesem Beitrag gibt es sehr viel zu sagen. In dem folgenden Kommentar geht es jedoch in erster Linie um die darin vertretene Annahme, Julian Assange erhielte „ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Standards“.

Dazu sollte man zunächst darauf hinweisen, dass im Fall von Julian Assange nicht nur das Leben des australischen WikiLeaks-Journalisten auf dem Spiel steht. Sein Fall hat eine weitaus größere Tragweite, und durch seine Verfolgung ist die Pressefreiheit und damit letztendlich die Demokratie im Kern bedroht.

In dem Interview mit dem UN-Experten Prof. Nils Melzer „Vor unseren Augen kreiert sich ein mörderisches System“ im Schweizer online Magazin Republik legt der Rechtsprofessor eindrücklich die Zusammenhänge und Konsequenzen der Verfolgung von Herrn Assange dar. Z.B. erklärt Prof. Melzer darin:

„Wenn investigativer Journalismus einmal als Spionage eingestuft wird und überall auf der Welt verfolgt werden kann, folgen Zensur und Tyrannei.“

Rebecca Vincent, die Leiterin des Londoner Büros von „Reporter ohne Grenzen“, äußert sich höchst besorgt über die Nicht-Einhaltung rechtsstaatlicher Standards im „Verfahren“ gegen Julian Assange:

„Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich mich in einem Gefängnis in der Türkei willkommener gefühlt habe, mehr respektiert und in der Lage, meine Arbeit als NGO-Prozessbeobachterin zu machen, unter professionelleren Bedingungen als am Woolwich Crown Court oder im Old Bailey Court in London. Ich schäme mich für mein Land.“

Rebecca Vincent hat als eine von sehr wenigen Prozessbeobachter*innen die Anhörungen selbst verfolgen können – denn der Zugang zum Prozess für NGOs und die Öffentlichkeit wurde massiv und zunehmend beschränkt. Zum Schluss standen nicht mehr als 3-4 Plätze für Beobachter*innen dieses Jahrhundertprozesses zur Verfügung.

Allein diese Tatsache zeigt, dass in diesem „Verfahren“, das von vielen Menschen treffender als „Schauprozess“ verstanden wird, keineswegs rechtsstaatliche Standards eingehalten werden – ganz im Gegenteil.

Richterliche Befangenheit

Die seit 2019 für den Fall von Julian Assange zuständige Magistratsrichterin Vanessa Baraitser löste die bis dahin verantwortliche Richterin Emma Arbuthnot im Sommer 2019 ab. Arbuthnot war aber weiterhin als leitende Richterin für den Fall tätig. Was höchst problematisch ist aufgrund ihrer mehrfachen Befangenheit: Sowohl ihr Ehemann als auch ihr Sohn stehen mit WikiLeaks auf Kriegsfuß, nachdem dort Beweise für die Verstricktheit der Arbuthnots in äußerst fragwürdige Machenschaften und Kontakte zu Militär und Geheimdiensten nachgewiesen wurden.

In einem Offenen Brief an den britischen Justizminister Robert Buckland wird eine unverzügliche Untersuchung dieser Angelegenheit gefordert.

Ein rechtmäßiges Verfahren in einem Rechtsstaat wäre spätestens an diesem Punkt eingestellt worden. Nicht so im Fall Assange.

Auch die Befangenheit der Magistratsrichterin Vanessa Baraitser ist für die wenigen zugelassenen Prozessbeobachter*innen offenkundig. Während des gesamten „Verfahrens“ ergriff sie mehr oder weniger eindeutig Partei für die US-Anklage-Seite. Die Prozess-Berichte des ehemaligen Diplomaten für Großbritannien, Craig Murray, sprechen eine deutliche Sprache. Hier eine deutsche Übersetzung aus dem Oktober 2019.

USA bricht Anwaltsgeheimnis

Es kam zudem heraus, dass Herr Assange rund um die Uhr in der ecuadorianischen Botschaft überwacht, ausgespäht und gefilmt wurde durch den spanischen Sicherheitsdienst „UC Global“, und zwar im Auftrag der USA.
Davon betroffen sind auch vertrauliche Gespräche mit seinen Anwälten, in denen es um einen möglichen Prozess gegen die USA ging. Die Inhalte dieser Gespräche sind der US-Anklage-Seite demnach höchstwahrscheinlich bekannt.
Auch an diesem Punkt hätte das Verfahren in einem funktionierenden Rechtsstaat eingestellt werden müssen. Doch es läuft weiter, was rechtsstaatlichen Prinzipien eindeutig widerspricht.

Belmarsh macht Kontakt zu Anwälten fast unmöglich

Im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh (warum wird Herr Assange als nicht-gewalttätiger Intellektueller überhaupt dort festgehalten, zusammen mit Terroristen und Schwerstverbrechern?) hat der WikiLeaks-Journalist kaum Kontakt zu seinen Anwälten. Seit Monaten hat er sie nicht gesehen, und die zur Verfügung stehenden Telefongespräche reichen bei weitem nicht aus zur Vorbereitung seiner Verteidigung in einem derartig komplexen Fall.
Monatelang wurde Assange auch der Zugang zu juristischen Büchern verweigert.

Als nicht-gewalttätiger Gefangener, der nicht aufgrund eines Urteils dort festgehalten wird sondern nur wegen eines ausstehenden Berufungsverfahrens, das sich noch jahrelang hinziehen kann, wird er seit knapp zwei Jahren in Isolationshaft gehalten – aus welchem Grund? Die Vereinten Nationen definieren Isolationshaft, die länger als 15 Tage andauert, als psychologische Folter.

Erst kürzlich hat der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter Großbritannien zum wiederholten Mal aufgefordert, Herrn Assange zumindest auf Kaution freizulassen.

In Pandemie-Zeiten ist es mehr als verwunderlich, dass ein unschuldiger Mensch mit schweren gesundheitlichen Vor-Erkrankungen, insbesondere einem chronischen Lungen-Leiden, in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten wird, in dem viele Gefangene und Mitarbeiter*innen bereits an Covid 19 erkrankt sind. Warum wird Herr Assange nicht zumindest in den Hausarrest entlassen? Global wird den Menschen geraten oder verordnet, als Schutzmaßnahme zuhause zu bleiben, aber Julian Assange soll weiter in einer Haftanstalt mit mehreren hundert Gefangenen bleiben?

Über den Fall von Julian Assange lässt sich noch sehr viel mehr sagen, er kann ganze Buch-Bände füllen. Allein diese kurze Auswahl sollte aber genügen um zu verdeutlichen, was wir als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen hier ganz bestimmt NICHT sehen: „ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Standards“.