Veröffentlicht am 14.06.2022 von der Kölner Mahnwachengruppe für Julian Assange
Sehr geehrte Frau Sibylle Keupen,
Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen,
mit Freude hatten wir, eine Gruppe Kölner BürgerInnen und begeisterte EuropäerInnen, von der Begründung der Verleihung des diesjährigen Karlspreises erfahren: „für ermutigenden Einsatz gegen die brutale staatliche Willkür, Folter, Unterdrückung und die Verletzung elementarer Menschenrechte“.
Ermutigend empfanden wir auch Ihr Grußwort, Frau Oberbürgermeisterin, in dem Sie diese Wahl eine Wahl des Aufbruchs nennen und dass die Empfängerinnen für das eintreten, „was den Kern des europäischen Projekts ausmacht: Menschenrechte, Frieden und Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Solidarität.“ Ihre Worte haben uns bewogen die Preisverleihung als tatsächlichen Aufbruch zu Entschlossenheit der politisch Verantwortlichen zu sehen – auch im Fall des Journalisten Julian Assange, für dessen Freilassung wir eintreten. Leider weist alles darauf hin, dass die Selbstverständlichkeiten derer wir uns in einer Demokratie sicher sein sollten, im Fall von Julian Assange gänzlich fehlen.
Wir sind der Einladung Ihres Grußwortes gefolgt und haben Ihren Worten entsprochen, „Bereitschaft zu zeigen uns einzubringen, Position zu beziehen und Verantwortung zu übernehmen“. Wir sind angereist, um den Mut der Empfängerinnen zu feiern und auch still daran zu erinnern, dass der Fall des Journalisten Assange für die europäische Idee und nicht nur für diese, vernichtend ist.
Entgegen Ihren Worten, Frau Oberbürgermeisterin Keupen, mit denen Sie uns Bürgerinnen und Bürger einluden „über die Zukunft und die Herausforderungen Europas zu diskutieren“, stießen wir auf harsche Abweisung. Jegliche Meinungsäußerung in Verbindung mit Julian Assange wurde uns auf dem öffentlichen Platz der öffentlichen Karlspreisveranstaltung explizit untersagt.
Ein beträchtliches Polizeiaufgebot sollte sicherstellen, dass jegliche Weise auf Julian Assange aufmerksam zu machen, unterbunden wird. Jegliche Weise bedeutet: Wir wurden gezwungen T-Shirts auszuziehen oder sie zu bedecken, Buttons zu entfernen, Aufkleber abzureißen die Aufschriften wie z.B. „free Press, free Assange“ und ähnliches trugen.
Von der Mitnahme von Bannern ganz zu schweigen. Keinerlei Hinweise und Meinungsäußerungen explizit zu Assange! Keine Diskussion, keine Erklärung. In einem demokratischen Land, bei einer öffentlichen Veranstaltung: einer Veranstaltung, die bellarussische Menschen ehrte, welche sich gegen staatliche Willkür, Folter, Unterdrückung – für Demokratie einsetzten.
Wir haben einen anwesenden Parlamentarier um Aufklärung des polizeilichen Vorgehens und um parlamentarische Beobachtung gebeten – denn Derartiges haben wir bislang in Deutschland nie erlebt. Hernach wurde von der Polizei mitgeteilt, dass die Karlspreisveranstaltung als Versammlung angemeldet wurde und die Versammlungsleitung angeordnet habe, explizit das Thema Assange fernzuhalten! Es konnten blaue Zipfelmützen und Luftballons verteilt werden, Pulse of Europe-Banner und Ukraine-Fahnen – alles war gestattet. Assange aber musste unbedingt draußen bleiben. Keine Diskussion!
Dennoch gelang es uns zu protestieren. Und weil unsere stillen Hinweise zu Assange und unser stiller Protest gegen das politische Schweigen zu diesem Fall sehr rigoros unterbunden wurden, protestierten wir mit dem, was man uns nicht abnehmen konnte – unseren Stimmen.
Wir riefen den politisch Verantwortlichen auf der Bühne wiederholt und laut zu: „free Assange“. Traurigerweise war es offensichtlich, dass weder Herr Schulz noch die Außenministerin Baerbock gewillt waren, die Zurufe „free Assange“ mit den propagierten Gründen für die Verleihung des Karlspreises in Zusammenhang zu bringen.
Auf der Aachener Bühne sprach nicht zuletzt die deutsche Außenministerin sehr emotional von Mut und sehr vehement über die Verteidigung der Menschenrechte. Dabei behauptet die heutige Außenministerin, sie vertraue im Fall Assange der britischen Justiz, obwohl sie vor ihrem Amtsantritt noch die Verletzungen der Menschenrechte von Julian Assange im einzelnen benannte und um die fehlende Rechtsstaatlichkeit in seinem Verfahren wußte. Dass auch die anderen VerfechterInnen demokratischer Standards auf der Bühne demokratische Position bezogen oder gar Mut und Entschlossenheit gezeigt hätten zum Falle Assange, ist uns nicht bekannt.
Dass die mehr als ein Jahrzehnt andauernden, unfasslich menschenverachtenden und demokratieverachtenden Vorgänge im Falle des WikiLeaks-Gründers Assange allen Beteiligten hinlänglich bekannt sind, ist nicht zuletzt dem bis vor Kurzem amtierenden UN-Sonderberichterstatter über Folter, Prof. Nils Melzer, zu verdanken. Nationales wie auch Europäisches Parlament wurden durch ihn informiert und immer wieder ermahnt und gerügt. Nationales wie auch Europäisches Parlament bleiben dennoch stumm.
Der Fall Assange ist so sehr mit Zündschnüren für die Demokratie und das Selbstverständnis westlicher, europäischer Staaten durchzogen, dass Menschenrechtsorganisationen, Juristenverbände, Journalistenverbände und selbst politische Beobachter dringend mahnen. Fehlende rechtsstaatliche Mindeststandards in der Prozessabwicklung, Isolationshaft als Foltermittel, ständige Verletzung der Menschenrechte von Herrn Assange, haben weder die deutsche noch die europäische Politik zu massivem Einschreiten bewogen.
Im Gegenteil. Alle schauen dem schamlosen Treiben Großbritanniens als verlängertem Arm der USA zu.
Die USA wünscht die Auslieferung Assanges. Seit mehr als einem Jahrzehnt verfolgt sie den Journalisten brutal, rücksichtslos und unnachgiebig. Diese Verfolgung ist eine Drohung an alle investigativen JournalistInnen weltweit und sägt an einem der wichtigsten Pfeiler der Demokratie, der Pressefreiheit. Ihnen allen auf der Aachener Bühne war und ist dies keinen einzigen Ton wert! Aber das Schweigen zum Fall Assange ist der vergiftete Pfeil, der den Kern des Europäischen Projekts und das Herz jeder glaubwürdigen Demokratie trifft.
Assange hat nicht nur hervorragende journalistische Arbeit geleistet, er hat mit seiner Plattform Wikileaks der demokratischen Öffentlichkeit mit wichtigen Informationen einen großen Dienst erwiesen, so auch mit der Veröffentlichung von Nachweisen über Kriegsverbrechen. Kriegsverbrechen der USA.
Wer von allen auf der Karlspreisbühne hat je gefordert, dass diese Kriegsverbrechen geahndet werden müssen? Im Gegenteil, auch auf diesem Event werden selbst diese Kriegsverbrechen möglichst nicht erinnert und dazu sollen auch Hinweise auf denjenigen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, der sie öffentlich machte: Julian Assange.
Unsere Ansicht ist, dass die Europäische Idee ebenso wie die nationale und europäische Politik nur dann glaubwürdig sind, wenn sie die eigenen Fehler korrigieren. Kriegsverbrechen gehören geahndet – von wem auch immer sie begangen wurden.
Dass demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien im Falle Assange in Großbritannien und durch die USA ad absurdum geführt werden muss unterbunden werden.
Folter jeglicher Art ist ein Skandal und muss es immer bleiben. Folter – inmitten Europas! – sprengt unser demokratisches Selbstverständnis und macht uns schlimmer als selbst diejenigen, die wir ansonsten wegen solcher Praktiken scharf kritisieren.
Menschenrechtsverletzungen sind auch dann Menschenrechtsverletzungen wenn sie von Verbündeten ausgehen. Somit rufen wir Ihnen und den übrigen Verantwortlichen immer noch zu und werden ganz gewiß nicht damit aufhören:
Freiheit für Julian Assange – Kriegsverbrechen publizieren ist kein Verbrechen.
In diesem Sinne Frau Oberbürgermeisterin Keupen würden wir gerne über Julian Assange, die Glaubwürdigkeit europäischer Politik und die Zukunft Europas diskutieren.
Thespina Lazaridu
Kölner Mahnwachengruppe für Assange
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